Welche Bedeutung hatte die immer breiter werdende Verwendung der Schreibmaschine für die Schrift das Schreiben als Prozess?
Dieser Frage möchte in anhand der ersten beiden Kapitel von Andi Gredigs Buch: Schreiben mit der Hand. Begriffe | Diskurs | Praktiken, nachgehen.
Forminventar
In der Handschrift einer einzigen Person findet sich ein breites Forminventar. Es ist beinahe unmöglich ein und den selben Buchstaben von Hand exakt zu duplizieren. Mal wird der Buchstaben etwas grösser. Mal etwas schiefer. Mal etwas geschwungener. Bei der Schreibmaschine hingegen wird ein Buchstabe immer gleich aussehen. Es gibt keine Möglichkeit, einen einzelnen Buchstaben mal etwas schiefer oder geschwungener, grösser oder kleiner erscheinen zu lassen. Die einzige Möglichkeit allenfalls in der Variierung der Druckstärke, wobei sich hier die Frage stellt, ob eine solche Differenz als variierendes Forminventar gesehen werden kann. So bleibt der Buchstabe in seiner Form doch unverändert.
Beschränkte Zeichenauswahl
Während die Zeichenauswahl bei einer Handschrift unbegrenzt ist, muss diese bei technischen Schreibgeräten sinnvollerweise begrenzt werden. Es ist also nicht möglich mit einer deutschen Schreibmaschine chinesisch oder arabisch zu schreiben. Schon allein für die verwandte französische Sprache wird das Vorhandensein der erforderlichen Sonderzeichen vorausgesetzt. Daher erscheint es besonders interessant, dass diese Zeichenauswahl im Laufe der Zeit der Funktion der Schreibmaschinen angepasst wurden. So hat Beispielsweise die von 1950-1961 produzierte Olympia SM 2 kein Ausrufezeichen auf der Tastatur. Auch die Zahl eins fehlt. Wobei diese durch die Zeichensimilarität von 1 und l auf älteren Schreibmaschinen kompensiert werden konnte. Es wird also vorausgesetzt, dass aus dem Kontext abgeleitet werden kann, ob das Zeichen als Zahl oder als Buchstabe verwendet wurde. Es kommt durch den beschränkten Platz gewissermassen zu einem Zeichenzusammenfall.
Auch bei der von 1958-1966 produzierten Hermes media 3 sah man keine Notwendigkeit diesen Zeichenzusammenfall aufzuheben. Dafür kam das Ausrufezeichen hinzu. Die Schreibmaschine entwickelte sich also immer mehr vom Rechnungsschreiber in einen Textschreiber. Unterstrichen wird diese These dadurch, dass bei der Hermes media 3 auch die mathematischen Zeichen 1/4 und 3/4 wegfallen.
Vieldeutigkeit
Gredig verweist in seinem Text darauf, dass Geschriebenes immer vieldeutig ist. Auf einer rein inhaltlichen Ebene würde ich dieser These zustimmen. Auf der Schriftebene, sehe ich dies jedoch etwas problematisch. Durch das eingeschränkte Forminventar wird die Schrift einheitlicher und damit auch eindeutiger. Das Geschriebene ist rein auf der Schriftlichkeit basierend nicht mehr einer urhebenden Person zuzuschreiben. Es bleibt höchstens noch die mögliche Zuordnung auf bestimmte Schreibgeräte, wie wir sie aus Kriminalfällen kennen. Aber auch da wäre wiederum vorausgesetzt, dass die Maschinen bestimmte Eigenheiten oder Macken aufweist, die ihre Schreibprodukte aus einer Sammlung von Texten hervorhebt. Quasi ein abhebendes Forminventar durch eine beschädigte Taste.
Im weiteren sind aus einem mit der Schreibmaschine geschriebenen Text kaum Emotionen oder Hintergründe zum Schreibmoment abzulesen, während bei der Handschrift durch das unbeschränkte Forminventar ein breiter Fächer geboten wird. Es ist möglich abzulesen ob eine Person vielleicht wütend oder in Eile war. Es ist aus der Handschrift aber auch ersichtlich, ob sich die Person besondere Mühe gegeben hat. Alle diese Emotionen können nicht aus einem Schreibmaschinentext abgelesen werden.
Lautstärke
Während der Schreibprozess mit einer Schreibfeder, Füllfeder oder Bleistift kaum Geräusche produziert, wird der Schreibprozess mit einer Schreibmaschine von einer unüberhörbaren Akustik begleitet. Inwiefern dies Auswirkungen auf den Schreibprozess der Schreibenden Person hat, beispielsweise Konzentrationsschwierigkeiten oder die Fähigkeit sich in den geschriebenen Text vertiefen zu können, was gerade bei kreativen Texten sehr wichtig ist, wäre in konkreten Studien zu überprüfen.
Bibliographie:
Gredig, Andi: Schreiben mit der Hand. Begriffe | Diskurs | Praktiken. Berlin 2021, S. 1-78.
1 Kommentar
Toller Beitrag mit Bezug auf Gredig! Mich würde auch interessieren, ob das Schreibgeräusch der Schreibmaschinen nicht nur negative, sondern auch positive Effekte hat: Es ist ein Indikator für Produktivität und könnte so auch ansteckend wirken, wenn man in einem Raum zusammen arbeitet. Man hört die anderen tippen und das motiviert, selber zu tippen…